Eine ernste Science-Fiction Komödie von Sibylle Berg · 14+
Schwarzwälder Bote, 11. Dezember 2024
„Es braucht den Menschen nicht mehr“
(von Christoph Holbein)
In der Welt der Künstlichen Intelligenz (KI) haben Roboter das Sagen. Eindrücklich und intensiv bringt das Regisseur Sascha Flocken in der Werkstatt des Landestheaters Tübingen (LTT) auf die Bühne.
Reutlinger General-Anzeiger, 3. Dezember 2024
(von Christoph B. Ströhle)
Bitterböser und komischer Abgesang: Sibylle Bergs Dystopie »Wonderland Ave.« am Landestheater Tübingen
Ein wunderbar pointiertes, lebendiges Zusammenspiel
Schwäbisches Tagblatt, 3. Dezember 2024
Der Horror in der Wellness-Oase
(von Dorothee Hermann)
Mit „Wonderland Ave.“ von Sibylle Berg gelingt dem Landestheater Tübingen eine zugleich absurd komische und beklemmende Expedition zu den Abgründen und Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Roboter.
Auf der scheinbar leeren Bühne steht eine Art eleganter Schragen, recht hoch, weiß verhängt, mit Kopfkissen und Decke. Das Möbel ist irgendwas zwischen Bett (asketisch schmal) und auf elegant gestylter Massageliege. Ein offenes Halbrund raumhoher, weißer Vorhänge, über die Lichter, Zeichen und Farben flimmern, rahmt das Schneewittchen-Setting.
Es schafft einen Raum im Raum auf der Werkstattbühne des Landestheaters Tübingen, eine vergleichsweise beengte Fläche für Sibylle Bergs Sci-Fi-Groteske „Wonderland Ave.“ Die flimmernden Signale könnten die bekannte Konsumglitzerwelt darstellen oder die dynamischen Zahlen- und Zeichenkolonnen von Rechnerfunktionen (Video: Finn Bühr). Der elektronische Klimper-Klimper-Sound passt genau zum diffusen Konsum-Ambiente, das auch etwas heftig Klaustrophobisches hat.
Zunächst sieht das Ganze so sehr nach Deko und kommerzieller Bespaßung aus, dass man es kaum für möglich hält, in einer solchen Kulisse einen leibhaftigen Menschen zu Gesicht zu bekommen (Bühne und Kostüme: Lara Schiek). Doch die aufgekratzt blinkende und zugleich sedierende Anordnung ist der letzte Ort, der der namenlos bleibenden Protagonistin (großartig: Sabine Weithöner) geblieben ist. Deren Erleichterung, an einen scheinbar geschützten Ort gelangt zu sein, währt nicht lange.
Die vermeintliche Wellness-Oase mit Rundumbetreuung hat es in sich: Mit dem morgendlichen Wecken setzt die Zwangsinteraktion mit drei der Maschinenwesen ein, die in einer nahen Zukunft etwaige verbliebene Menschen überwachen. „Heute ist Dienstag! Und wir sind Ihr emotionales Zuhause!“, verkünden sie triumphierend wie aus einem Mund.
In der Folge geben sie wie der Chor in einer antiken Tragödie ihre eigenen Ansichten über die Menschen zum Besten. Schließlich haben diese auf der Erde genug Schaden angerichtet. Weitere Zerstörungen haben die Roboter selbst verursacht, wo immer organische Materie Fehlfunktionen bei ihnen auslöste. Nun ist es höchste Zeit für eine endgültige Abrechnung, scheint das Maschinen-Trio (Insa Jebens, Lucas Riedle, Rosalba Salomon) zu denken. Als leicht dämonische Dreifaltigkeit sind sie der ihnen ausgelieferten Protagonistin schon zahlenmäßig überlegen.
Ihr Schützling wider Willen trägt einen blauen Kinderschlafanzug mit goldenen Sternchen und bunten Fischchen. Elternähnlich kontrolliert das Roboter-Trio Körperfunktionen und Körperpflege. Sogar das Frühstück, das je nach Perspektive nach nichts beziehungsweise ein bisschen eklig aussieht, ist angeblich nach objektiven Erkenntnissen optimiert.
Wem vor so viel Dauerbeobachtung und engmaschiger Herumschurigelei ganz anders wird, gelangt vielleicht dazu, sich nicht nur mit den alltäglichen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen, sondern auch mit scheinbar selbstverständlichen Behaglichkeiten, die darum kreisen, zu kaufen, zu streamen oder etwas Gutes zu essen.
Die unglaublich zähe Protagonistin jedenfalls klammert sich an die Parole: „Wenn ich lange genug durchhalte, wird mein Leben wieder so, wie ich es mir vorgestellt habe.“ Auf jeden Fall gelingt ihr eine großartige Balance: Einerseits erscheint sie als fragwürdige Figur, die es nicht besser verdient hat, andererseits löst sie Mitgefühl aus, auch durch starke Wiedererkennungseffekte. Um der bizarren Kur-Anstalt wieder zu entkommen und in ihr altes Leben zurückzukehren, wäre sie – typisch Mensch! - zu allem bereit, doch die Maschinenwesen haben dazu ihre eigenen Vorstellungen.
Cul-Tu-Re.de, 1. Dezember 2024
(von Martin Bernklau)
Rauschender Beifall und zahllose Vorhänge bei der Premiere. Das Stück lohnt sich.
Die Deutsche Bühne, 1. Dezember 2024
(von Manfred Jahnke)
Sascha Flocken inszeniert am Landestheater Tübingen eine Dystopie mit bedrohlichem Maschinenchor und verliert trotz düsterer Materie nicht die Leichtigkeit.