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Nach der Hölderlinschen Übertragung für die Bühne bearbeitet von Bertolt Brecht
Reutlinger Nachrichten, 5. Oktober 2018
(von Kathrin Kipp)
Das LTT bringt den Klassiker "Antigone" in der Fassung von Brecht auf die Bühne
Es ist Krieg. Kreon von Theben ist siegesgewiss. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Vor den Toren der Stadt lässt er deshalb den Leichnam des Deserteurs Polyneikes ohne Beerdigung verrotten – ein Frevel: Polyneikes kann so nicht in die Totenwelt gelangen. Das wiederum ruft Antigone auf den Plan, die ihren Bruder zumindest symbolisch mit Staub bedecken will, nicht nur der göttlichen Gesetze wegen, sondern auch als Widerstand gegen den Tyrannen. Kreon schickt sie deshalb auch in den Tod. Besiegelt, aber durch seine Unerbittlichkeit letztlich den Untergang der gesamten Stadt. Totaler Krieg, Tyrannei, Rache, Hass, faschistoide Kontrolle, gewalttätiger Machterhalt: alles menschlich, aber vergeblich.
Das LTT lässt Regisseurin Juliane Kann mit Brechts „Antigone“ die doppelte Coverversion von Sophokles‘ antikem Drama inszenieren. Wo in der Antike noch die Götter und das Schicksal das Sagen haben, wo Antigone als Teil der ödipalen Unglücksfamilie dem Generationenfluch noch schicksalhaft ausgeliefert ist, hat Brecht den Stoff in Hölderlins Übersetzung 1948 (also kurz nach Stalingrad) entmythisiert und säkularisiert, unter der Prämisse, dass „das Schicksal des Menschen der Mensch selber ist.“ Der durch Machtmissbrauch, Staatsterror, Unmenschlichkeit und Gier nicht nur andere, sondern letztlich auch sich selbst zerstört.
Juliane Kann wiederum holt das in vielerlei Hinsicht intertextuelle, auf siebzig Minuten eingestampfte, optisch durchaus reizvoll gestaltete Stück auf eine leere Bühne und lässt Sprache, Verbalgeräusche, Figurenkonstellationen, Körper und Buchstaben für sich sprechen. Im Hintergrund bröckelt die Inschrift „Der Bevölkerung“ vor sich hin, ein Zitat der Installation im Lichthof des Berliner Reichstagsgebäudes, das wiederum mit dem nationalsozialistisch (und mittlerweile auch von der Pegida) ja arg strapazierten „Dem deutschen Volke“ korrespondiert. Die Bevölkerung ist ja auch im griechischen Drama allzeit präsent, als Chor, der sich im Stück wiederum schon früh auf die Seite der Antigone schlägt, was den hartherzigen Kreon (Rolf Kindermann) schnell zum Spalter werden lässt: So lässt sich kein Staat machen.
Kreon ist der typisch böse Despot, der aus Angst vor Machtverlust keine Fehler zugeben kann, niemals von seinen Prinzipien abrückt, Gegner einfach liquidieren lässt. Ähnlich totalitär agiert auch Rolf Kindermann, unerbittlich, hartherzig und aggressiv schreit er seinen Text durch die Gegend. Allerdings steht dem Lisan Lantins rustikale Antigone in Nichts nach, sie kämpft zwar für humanistische Prinzipien, aber zeigt sich in der LTT-Inszenierung als ebenso laut und unerbittlich, dass man sich von ihr auch nicht unbedingt regieren lassen will. Regisseurin Juliane Kann wiederum setzt aber nicht nur auf schrille Wortgefechte – von denen man sowieso leider nur relativ wenig versteht. Sondern setzt auf dem Nichts an Bühne (Vinzenz Gertler) auch auf die Kraft des gruseligen Lichts, der Menschenbilder, des Stellungspiels und der Pantomime fast schon tanztheatralischen Ausmaßes. Immer wieder wird Text in Zeichensprache übertragen, mal mit, mal ohne Simultanübersetzung, mal mehr, mal weniger geheimnisvoll. Antigone verliert einmal sogar ganz ihre eigene Stimme, kann sich nur noch über Gebärden mitteilen, mit fremder Stimme aus dem Off.
Auch Rolf Kindermann verfremdet seinen Kreon mitunter zum wortlosen Rapper und beatboxenden Roboter, anfangs noch vom Chor begleitet, später muss er immer einsamer rhythmisch stöhnen. Auch wenn das Ungeheuer Mensch das göttliche Schicksal abgelöst hat, sind die Figuren hier im Grunde keine handlungsfähigen Individuen, sondern fast schon leichentuchmäßig transparent Uniformierte. Gilbert Mieroph spielt den armen Boten, der immer die miesen Nachrichten überbringen muss und sich dabei fast ins Hemd macht, Sabine Weithöner den blinden Vorherseher, Mattea Cavic die ängstliche Schwester Ismene, die sich nicht zwischen Widerstand und Hörigkeit entscheiden kann, und Nicolai Gonther Antigones Verlobten und Kreons Sohn Hämon, der sich lieber umbringt, bevor ihn Kreon für den Krieg missbrauchen kann.
Reutlinger General-Anzeiger, 4. Oktober 2018
Ungehorsam im antiken Zwielicht
(von Thomas Morawitzky)
Juliane Kann inszeniert am LTT Bertolt Brechts Bearbeitung von Sophokles’ Tragödie "Antigone"
Kreon hebt die Arme und stößt einen tiefen, keuchenden Rhythmus aus seiner Brust hervor; die Figuren der Tragödie schwingen mit, fügen Stimmen hinzu. Die Gesellschaft wird zur Beat-Box, bei der keiner aus dem Takt fällt, wird zur Maschine.
Bertolt Brecht adaptierte 1948, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Exil, Friedrich Hölderlins Übersetzung der "Antigone" des Sophokles, entkleidete das Drama von aller Mythologie, schrieb viele Passagen um. Nicht mehr das Schicksal, die Sünde, die Ödipus unwissend beging, der Zorn der Götter ist nun der Motor des Untergangs – die Verantwortung liegt allein beim Menschen.
Brecht verfasste zunächst einen Prolog, der im Berlin vor Kriegsende spielte, verwarf ihn später. Auch von allzu eng geknüpften Bezügen zum deutschen Widerstand gegen Hitler nahm er Abstand – seine Hoffnung: das Stück zu befreien vom "ideologischen Nebel", zu gestalten als "höchst realistische Volkslegende".
Juliane Kann, die die Antigone nun am LTT inszenierte, nimmt dabei auch Bezug auf einen älteren Satz Bertolt Brechts: "Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht." Vinzenz Gertler hat Bühne und Kostüme der Inszenierung gestaltet – und diese Bühne der Werkstatt des LTT bleibt leer, bis auf einen Schriftzug, der bereits zerfällt im Hintergrund, von dem viele Buchstaben zu Boden gestürzt sind, der sich nur noch erahnen lässt: "Die Bevölkerung" stand da, Verweis auch auf das umstrittene Werk des Künstlers Hans Haacke im Lichthof des Berliner Reichstagsgebäude.
Auch die "Antigone" nach Brecht und Hölderlin ist auf der Werkstattbühne des LTT nicht ohne Weiteres lesbar – der Text selbst ist schwierig und die Inszenierung bleibt ihm nahe, bleibt abstrakt. Die sechs Schauspieler tragen fast einheitliche, durchscheinende Kleidung, schreien ihre Zeilen, flüstern sie, im Chor, zusammen, gegeneinander; mitunter geht ihr Spiel über in Gebärdensprache. Es gibt Momente, die sich der Komik nähern, dann wieder bewegen sich die Darsteller in Zeitlupe, verfallen in Maschinenrhythmus, tippen sich auf die Zunge und schweigen, schließen sich zusammen oder zerstreuen sich.
Das Licht spaltet die Bühne, kommt grell nur von zwei Scheinwerferreihen, am Boden zu beiden Seiten angebracht. Erlischt eine dieser Reihen, wird das Geschehen in Zwielicht getaucht, geben harte Schatten jeder Figur eine helle, dunkle Seite – vor allem jener des Kreon. Rolf Kindermann spielt ihn, irgendwo zwischen Wahnsinn und Parodie, ein überschnappender, schon übergeschnappter Herrscher, ein böser Komödiant, ein Rasender. Ein Bote (Gilbert Mieroph) kommt und schmiegt sich an den König – "Herr, mein Führer!", sagt er. Der Chor zischt empört, zeigt mit den Fingern.
Lisan Lantin, die Antigone, ist Kreons Gegenteil: Sie ruht in sich, sie spricht gerade, blickt gerade, hat sich entschieden, will ihr Schicksal auf sich nehmen – "Das Leben ist mir keine Heimat mehr", sagt sie, "der Tod noch nicht".
Mattea Cavic als Ismene wirbelt zerrissen umher, trägt, anders als Antigone, ein Kleid, klammert sich verzweifelt an Kreon, zieht ihn zu Boden: Slapstick bricht nicht nur diese Szene auf. Nicolai Gonther ist Hämon, Sohn des Kreon und der Eurydike, Verlobter der Antigone – er wankt mit sehr modernen Krücken auf die Bühne, wird später klappern mit den Krücken, auch er ein Rhythmiker. Sabine Weithöner schließlich ist Tiresias, der Seher, tritt sehr stark auf, blickt blind und klarsichtig in eine Ferne. Der Krieg, bei Sophokles bereits gekämpft, ist bei Brecht noch im Gange; die Zukunft verheißt nichts Gutes.
Juliane Kann scheint mit den Schwierigkeiten ihrer Vorlage zu spielen: Antigone als antike Urfigur zivilen Ungehorsams; Brechts Versuch, ihre Geschichte auf den Nationalsozialismus zu beziehen; die zerfallende Schrift an der Wand; das Schweigen, Sprechverbot – aber die Regisseurin gibt das Stück, das sie so streng und vieldeutig inszeniert, zugleich ganz in die Hand ihrer Schauspieler, die in diesem leeren Bühnenraum im Halbschatten der Scheinwerfer Antigone mit bemerkenswerter Ausdruckskraft beleben.
Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2018
(von Peter Ertle)
Kein schicksalhafter Konflikt zweier Prinzipien, sondern Plädoyer für den Widerstand gegen einen Tyrannen: Brechts "Antigone des Sophokles" nach der Hölderlinschen Übersetzung - ästhetisch reduziert, mit guten Akteuren und akustischen Schwächen
Es klingt wie der Bass einer stimulierenden Musik, wie gleichgeschaltete Schritte marschierender Soldaten: Kreon groovt sich ins Bacchusfest ein, aalt sich im Victoryparade-Rave. Religion ist Opium fürs Volk? Brecht macht daraus ein "Macht ist Kokain für die Herrscher". Es reißt auch die Beherrschten mit oder zwingt sie - jedenfalls lange Zeit. Kreons Soldaten marschieren auf Argos zu, sein Volk ist eines aus Untertanen und Mitläufern. Wir sehen sie früh in Form einer lebendigen Skulptur der "Alten". Oder im Exemplar einer recht Jungen, die Ismene heißt und entsetzt ist, dass ihre Schwester gegen das Staatsgesetz verstoßen möchte. So was tut man doch nicht. Und es ist auch viel zu gefährlich.
Was Brecht wiederum mit Hölderlins Sophokles-Fassung tat, tut man auch nicht, die Brecht-Erben würden sich diesen Umgang mit einem Brechtstück verbieten. Aber Hölderlin und Sophokles waren lange genug tot, Brecht ist es noch nicht, (seit 62 Jahren - 70 Jahre nach dem Tod erlöschen Autorenrechte).
Die Entstehungsgeschichte: Brecht kehrt aus dem Exil in den USA zurück, trifft in der Schweiz einen Kollegen aus alten Berliner Tagen, der inzwischen Intendant am Churer Theater ist, ihm sagt, er habe einen Klassikerposten in der nächsten Spielzeit und überlege, Sophokles' "Antigone" zu machen. Brecht ist ein großer Name für das Theater. Und das Theater für Brecht die Chance auf den Wiedereintritt in die deutschsprachige Bühnenwelt.
Er macht dann ein anderes Stück daraus. Hauptdifferenz: Nicht mehr religiöses und staatliches Gesetz treffen schicksalhaft aufeinander. Sondern die Gewaltherrschaft eines Kriegstreibers trifft auf eine Frau, die ihr eigenes moralisches Empfinden anders handeln lässt. In einem einzigen Punkt zunächst nur. Der aber zur Keimzelle wird für sie und schließlich auch für die anderen. Zivilcourage, Vernunft und Menschenfreundlichkeit gegen einen Wüterich. Dass der Stückumschreiber und Regisseur seinen Kreon hitleresk gestaltet, Argos zu Russland/Stalingrad macht (und bei der damaligen Premiere ein Vorspiel sogar ausdrücklich den Bezugzu Hitlerdeutschland herstellte) - man mag es Brecht 1947/48 nicht verdenken.
Man kann heutigen Theaterzuschauern auch nicht verdenken, dass ihnen die Botschaft unterfordernd vorkommt. So unterfordernd wie alle aktuellen Möchtegern-, Halb-, oder Volldiktatoren. Hitler war auch eine riesige Unterforderung. Das war einer seiner Vorteile.
Ein Bote erfährt als erster, was es heißt, von Kreon eventuell als Künder der schlechten Nachricht für das Berichtete haftbar gemacht zu werden, wenn es denn schon nicht mehr als Fake News abgewehrt werden kann. Gilbert Mieroph als Bote liefert da gleich einige fast schon Commedia dell'arte-taugliche oder Shakespeare-närrische Capricen.
Das ist durchgehend ein Zug dieser Inszenierung: Juliane Kann flankiert die hohe klassische Sprache mit betont körpersprachlichem Witz und - vor allem bei Kreon selbst - extrem heutigen, sofort verständlichen und flunkernden Gesten. Kontraste, Brechungen, die das Ferne nahe herholen. Nicht als Ausstattung eines psychologisch fein ausgebildeten Charakters. Sondern als Darstellung eines Typus. Man soll verstehen, wie er tickt.
Die kleinen saloppen Gesten Kreons laufen dabei immer Gefahr, den Herrscher clownesk zu verharmlosen (andererseits: Er ist auch nichts als ein schrecklicher Infant, ein böser Clown) und ihm zu viel Charisma zu verleihen. Das wird aber überwogen von drei Vorteilen: 1) Man versteht den psychologischen Mechanismus der Situation. 2) Man wird unterhalten. 3) Und zwar von Rolf Kindermann. Er macht seine kleinen Nummern zu einem großen Schauspielvergnügen nebenbei - das nebenbei ist hier wichtig.
Doch auch seine Hauptstücke sind großartig, seine Zornausbrüche, sein Insistieren mit leiser, bedächtiger Stimme, wenn er sich Antigone zur Brust nimmt, seine plötzliche Herzlichkeit, der wir mit Recht misstrauen - gleich wird sie in ihr Gegenteil kippen. Kreon ist ein unberechenbarer Explosivstoff. Das einzig Berechenbare ist sein Machtstreben.
So einer braucht eine ganz andere, große Gegenfigur: Schlicht, geradlinig, ohne Spirenzen, eine starke Alltagsheldin. Also damals Helene Weigel. Und heute am LTT, ihre Visitenkarte abgebend: Lisan Lantin, die nie mehr als nötig, aber vor allem nichts falsch macht und das Nötige vorbildlich ausfüllt. Voilà, so kann eine Antigone sein.
Nach und nach macht ihr Beispiel Mut und Schule, um den Herrscher wird es immer einsamer. Zumal auch schlechte Nachrichten von der Front kommen, die Kreons Siegesgeschrei immer schlechter übertönt. Hämon spricht ihm ins Gewissen (Nicolai Gonther, sehr glaubhaft den Sohnesgehorsam der Wahrheit opfernd), und auch Ismene (Mattea Cavic ) will die von ihr verpasste Maxime "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" am letzten Schopf packen, indem sie sich nachträglich als Mittäterin bekennt. Zu spät. Auch die Alten erheben allmählich mahnend ihre Stimme, raten zu Milde und Umkehr.
Was die Regie mit dem Einsatz der Gebärdensprache wollte? Wer weiß. Aber die Körpersprache macht keine schlechte Figur in diesem Umfeld, wo es darum geht, die rechten Zeichen zu verstehen, wo Herz und Hirn eine eigene verschworene Sprache gegen die Propaganda finden müssen. Die Stummheit korrespondiert auch mit der Blindheit des Sehers. Sabine Weithöner verleiht Tiresias eine Milde und Weisheit, an der Kreon nur scheitern kann. Auch als chorischer Gesamtkörper funktionieren die Akteure gut.
Und, witzig: Der V-Effekt liegt als V auf der Bühne, ein aus der Schriftzug-Krone gefallener Zacken, wohltuend unvölkisch auch eine Widmung: "Der Bevölkerung". Sonst nur leerer Raum, helle, transparente Gewänder (Bühne, Kostüme: Vinzenz Gertler), und eine überzeitliche Zusammenarbeit - Sophokles, Hölderlin, Brecht, das ist ja nicht das Schlechteste: Text, Text, Text.
Doch das größte Manko der Inszenierung liegt genau da, hängt mit der Akustik und diese mit der leeren, als offener Denk- und Sprachraum gestalteten Bühne zusammen: Der Text ist stellenweise schlecht zu verstehen. Bühnentechnik, bitte übernehmen!
Unterm Strich
Eine sehr reduzierte, stark auf Körpersprache setzende Inszenierung, die den hohen klassischen Ton und die damit verbundene Ferne mit einigem Witz und heutigen Gesten in den Nahbereich holt. Die Gegenspieler Kreon und Antigone sind mit Rolf Kindermann und LTT-Novizin Lisan Lantin stark besetzt. Großes Manko: Die Akustik auf der kahlen Bühne: Man versteht teilweise schlecht.