Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Titel: „Genannt Gospodin“. Wer oder was ist Gospodin?
„Gospodin“ ist der Name der Hauptfigur, das Wort ist russisch und bedeutet: Herr. Also heißt der Titel eigentlich: „Genannt Herr“ und die Figur heißt „Herr“ oder „Mann“ - so, wie der König im Märchen auch „König“ heißt. Gospodin ist also auch ein Archetyp, ein Jedermann. Ein antikapitalistischer Jedermann.
Gospodin ist also Antikapitalist. Wie drückt sich das aus?
Zu Beginn des Stücks hat er ein Modell entwickelt, mit dem er entfremdeter Arbeit entgehen kann. Er hat sich ein Lama besorgt, tingelt damit durch die Innenstädte und sammelt für sich und das Tier Geld. Das Stück beginnt damit, dass ihm das Lama von Tierschützern weggenommen wird, also mit einem massiven Einschnitt in sein Leben. Er muss sich umorientieren, sich eine neue Form des antikapitalistischen Lebens suchen. Dabei „helfen“ ihm seine Freunde – indem sie ihn ausbeuten, ihm seine letzte Habe wegnehmen und letztlich im Stich lassen. Aus dieser Situation, allein, ohne Geld, ohne Besitz, entwickelt Gospodin dann ein Dogma für sein Leben. Es geht um Konsumkritik, Verzicht, Abschaffung des Geldsystems – und Gospodin beschließt für sich alleine, nicht mehr mitzumachen.
Die Beschreibung klingt jetzt eher wie ein ernstes, sehr politisches Stück – es ist aber eine Komödie! Wie das?
Es gibt starke Figuren. Lauter Typen, die Gospodin nerven und letztlich sein System in Frage stellen. Wir arbeiten das komische Potential der Szenen heraus, die oft sehr absurd sind. Komödie heißt, dass es am Ende eine tragische Wendung gibt, die vermeintliche Auflösung macht eine neue Tür auf. Diese Form des Theaters – Lehrstück und Komödie zugleich – macht mir Lust. Das ist mein Theater: Ich will den inhaltlich-politischen Diskurs anstoßen und ich liebe Komödien. Ich will mich amüsieren, wenn ich ins Theater gehe, und ich glaube, dafür ist das Stück wunderbar geeignet. Gleichzeitig nutzen wir das Theater als Ort der öffentlichen Auseinandersetzung und Verständigung darüber, wie wir zusammenleben wollen.
Ist Gospodins Lebensweise ein Vorbild? Utopisch, nachahmenswert? Oder vollkommen abwegig? Was lehrt uns das Lehrstück?
Mittlerweile gibt es viele gesellschaftliche Ansätze, die in eine ähnliche Richtung gehen, also z. B. die Bewegung für ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Gemüsekiste, die Lebensmittelretter, insgesamt die neue Ethik des Verzichts, des ökologisch verantwortlichen und nachhaltigen Lebens - also einiges an antikapitalistischen Modellen, in denen Menschen nicht nur am ökonomischen Mehrwert interessiert sind, sondern am sozialen. Das Moment, was wir versuchen zu bearbeiten, ist folgendes: Der Antikapitalismus à la Gospodin hat seine Berechtigung, aber es gibt eine Tendenz zur ideologischen Verhärtung. Sobald er sein Dogma aufgestellt hat, muss er es auch verteidigen, kann es nicht mehr hinterfragen, wird darin starr. Ideologie entsteht dann, wenn eine schlaue Idee nicht mehr flexibel gehandhabt wird, wenn man aufhört, sich zu hinterfragen, wenn der kritische Umgang abhanden kommt. Das ist das Phänomen Gospodin. Deswegen ist das Stück in meiner Lesart auch eine Ideologiekritik.
Gospodin light sind wir also alle – ganz ohne Geld wäre uns zwar zu anstrengend, aber die Gemüsekiste haben wir bestellt. Sollen wir Gospodin in uns selbst suchen?
Er ist die Identifikationsfigur und das, was ihn ausmacht, findet man besonders in Deutschland und erst recht hier im Südwesten: Der Antikapitalismus ist nicht lustvoll, sondern eine Bürde, die man tragen muss. Fast schon religiös. Das macht es auch für ihn so schwierig – und für uns. Die Deutschen praktizieren eben diesen moralischen, strengen, bemühten Antikapitalismus – Sparsamkeit, Geldverzicht. Genau deshalb ist er auch ein so sympathischer Kerl, dem das alles einfach so passiert. Er versucht, er selbst zu sein und seine Nische zu finden – und vernagelt sich dabei nahezu.
Du arbeitest zum ersten Mal am LTT. Ist „Genannt Gospodin“ ein Stück für Tübingen?
Ja klar! Aber genauso auch für München-Schwabing, Köln oder Berlin-Schöneberg, wo ich wohne. Also für Orte, wo es viele aufgeklärte, grün-links orientierte Menschen gibt, die ihre Kinderläden selbst verwalten, die emanzipatorisch streiten etc. Also da, wo es den „grünen Biedermeier“ gibt und man versucht, nicht nur nach kapitalistischen Wertmaßstäben zu leben, da ist genau diese Diskussion absolut angebracht. Wie sehr sind beispielsweise die Grünen mittlerweile im Kapitalismus angekommen, wo halten sich die Gründungswerte der Partei sich eigentlich noch auf?