Abonnieren Sie unseren WhatsApp Newsletter!
Um zu starten, müssen Sie nur die Nummer +49 1579 2381622 in Ihrem Handy abspeichern und diesem neuen Kontakt eine WhatsApp-Nachricht mit dem Text "Start" schicken.
Generationentheater Zeitsprung
Gäubote, 28. Mai 2014
Als Goethe die Aussicht ohne Bäume pries
(von Thomas Volkmann)
Tübingen/Bebenhausen: Sonnenmilde Premiere von „Herrschaftszeiten! Geschichten aus dem Schönbuch“ mit dem Generationentheater Zeitsprung.
Der Schönbuch als Landeplatz für Zeppeline? Stresstest und Machbarkeitsstudie hat ein eifriger Erlebnisberater bereits initiiert. Der König indes plädiert für mehr Nachhaltigkeit, auch in Sachen Jagdverhalten. Das Theaterstück „Herrschaftszeiten! Geschichten aus dem Schönbuch“ vereint historisch Verbürgtes wie auch Ausgedachtes und feiert den Schönbuch und Bebenhausen als sozialen Brennpunkt und Ort der Idylle.
Großer Bahnhof vor dem Klostereingang, wo Waldarbeiter Äste sägen, der Dorflehrer wissbegierige Schüler unterrichtet und Kräuterweible und Waschfrauen ein Schwätzle über den Dorfzaun halten: schnell fühlt man sich da um 100 Jahre zurückversetzt und ist hautnah dabei, wie Familienvater Hermann Gäbele wegen unrechtmäßigen Sammelns von Leseholz festgenommen wird. „Wir brauchen das Holz. Sollen wir Hungern und Frieren?“, verteidigt er sich und schimpft alsbald aus seinem Gefängnis oben im Turm über die laxe Handhabung des Begriffes „Waldgerechtigkeit“. Wie es heißt, sei angeblich zum Eigenbedarf gesammeltes Holz damals auf dem Tübinger Holzmarkt verkauft worden, der Wald deshalb „beinahe verschwunden“. Goethe soll gar von einer guten Aussicht von waldfreien Hügeln des Schönbuchs geschwärmt haben.
Es ist schon einige Jahre her, dass sowohl das Landestheater Tübingen wie auch das Zimmertheater die geschichtsträchtigen Gemäuer des Klosters in Bebenhausen als Kulissen für Freilufttheater nutzten. Für das von der Tübingerin Helga Kröplin seit 17 Jahren geleitete Generationentheater Zeitsprung dienen die historischen Kulissen nun einen Sommer lang als Schauplatz für ein Stück, das vom Leben im, vom und um den Wald erzählt. Als roter Faden dient die Liebesgeschichte eines Wilderers zu einer Gräfin aus Norddeutschland und der Besuch des letzten württembergischen Königspaares, Wilhelm II. und Charlotte, von der es heißt, sie habe den letzten Auerhahn des Schönbuchs geschossen. „Ein Tag hier im Schönbuch entschädigt mich für viele Wochen der Alltagsmühen bei Hofe“, weiß der Monarch den Aufenthaltswert in Bebenhausen zu schätzen. Der Gräfin von Stratow hingegen ist selbst schon das Klappern des Mühlrades zuviel, die Waschfrauen schickt sie hinaus an den Goldersbach, bekommt als Quittung dafür aber von Küchenfrau Klärchen ins Blaukraut gerotzt.
Gemeinsam mit dem Königspaar, fahrendem Volk, Waldarbeitern, Jägern und nicht zuletzt sagenumwobenen Schönbuchfiguren wie dem Ranzenpuffer, dem Kappelgeist und einer weißen Frau begibt sich das Publikum auf eine Zeit- und Stationenreise durch Bebenhausen. Vom Schreibturm außer- und innerhalb der Klostermauern geht es zunächst auf eine Wiese vor der Klosterkirche, wo das 30-köpfige Laiendarstellerensemble die Dianenjagd aus dem Jahr 1812 nachstellt, bei der angeblich über 800 Wildtiere binnen zwei Stunden erlegt worden sein sollen. Das ist dann wohl auch dem König zu viel des Guten. Im Kreuzganggarten erörtert wenig später der Erlebnisberater Felix Bärlauch seine Pläne von einem Zeppelinlandeplatz im Schönbuch, preist sie als wenigstens so denkmalträchtig an wie den Bonatzbau („der steht in 100 Jahren noch“) am Kopfbahnhof in Stuttgart.
Es ist ein absolut kurzweiliger Mix an Geschichten und Einfällen, die LTT-Dramaturg Volker Schubert als Autor und Helga Kröplin als Regisseurin diesem unterhalt- und lehrsamen Sommertheaterstück eingeschrieben haben. Dem man wünscht, dass auch die restlichen zwölf Aufführungen bis September so sonnenmild beschienen werden wie zur Premiere am Wochenende. Zur Auflockerung werden Moritaten gesungen, getanzt und Slapstick aufgeführt. Spannend wird es am Ende in der Kutscherhalle, wenn man darüber rätselt, wie es dem Wilderer nach einer Treibjagd erging. Dort hat auch die zehnjährige Liliane Sarraf aus Haslach einen überzeugenden Auftritt als Else, die einem Hund beibringt, sich auf Kommando tot zu stellen.
Reutlinger Nachrichten, 26. Mai 2014
(von Kathrin Kipp)
"Im Schönbuch ist alles möglich": Das Generationentheater Zeitsprung geht mit ihren "Herrschaftszeiten" auf ganz große Theatertour durch das Kloster Bebenhausen. Prima Volkstheater in magischer Atmosphäre.
Im Wald sind viele Räuber. Besonders im Schönbuch: Hier treffen Wilddiebe auf adlige Damen, Erlebnis-Planer auf die Königs, Holzverwerter auf unsoziale Gesetze, Gewehrkugeln auf Wildschweine, Waldgeister auf Poeten, Jäger auf Landvermesser, Mönche auf Sünder, Waschweiber auf Oberförster. Das Generationentheater "Zeitsprung" erzählt im Kloster Bebenhausen Geschichten und Geschichtliches aus dem "Wald des Jahres 2014". Das Projekt ist eine Kooperation mit dem Naturpark Schönbuch, weitere Amateurschauspieler aus den umliegenden Gemeinden verstärken das Generationen-Ensemble, so dass sich insgesamt 30 Darsteller zwischen zehn und 89 Jahren samt "Jagdhund" Finja durchs Kloster Bebenhausen schauspielern.
Im Schönbuch hatten zwar schon viele Herrschaften das Sagen, aber Autor Volker Schubert (LTT-Theaterpädagoge) konzentriert sich trotz aller Zeitsprünge auf die Herrschaftszeit von König Wilhelm II. (1848-1921), der sich mit seiner Frau Charlotte im Traumschlösschen Bebenhausen gerne mal eine Auszeit vom stressigen Württemberg-Regieren nahm. Und so lustwandeln Heinrich Sturm und Renate Boos als steifes Königspärchen durch die prächtige Anlage, um das aufgeregte Treiben ihrer Untertanen zu besichtigen. Sein ambitionierter Oberjägermarschall Graf von Stratow (Thomas Lösch) hat eine Schwäche für monumentale Jagdspektakel und will seine Beförderung mit einer historischen Dianenjagd feiern, was beim Volk überhaupt nicht gut ankommt. Und so herrschen in Wald und Klosteranlage jede Menge Interessenskonflikte, kein Wunder, dass bei so hohem Streitpotenzial auch noch diverse Waldgeister mitmischen.
Regisseurin Helga Kröplin macht daraus grandioses Volkstheater à la Hayinger Naturtheater, in dem munter geschwäbelt, gesungen, geliebt, gestritten und geschossen wird. Man steht natürlich immer auf der Seite des gedemütigten Volkes. Aber auch der damals offenbar sehr beliebte und volksnahe König kommt ganz gut weg: Setzt er sich doch für holzwirtschaftliche Nachhaltigkeit ein als auch für einen überirdischen Kopfbahnhof in Stuttgart. Seine Frau Charlotte wiederum fährt gern Fahrrad und schießt bei der Jagd immer daneben. Vermutlich Vegetarierin. So was kommt in Tübingen gut an. Die 170 deshalb auch ganz entzückten Zuschauer werden von den Schauspieler-Originalen durch die Klosteranlage geführt, in der sich ein ganzes Panoptikum von originellen Jagd-, Volks-, Kloster- und Waldszenen entfaltet. Flankiert von einer Band auf einem Leiterwägelchen, mit dem ein oder anderen luftigen Liedchen. Vor dem Tor steht Lehrer Kaltenecker (Bastian Braun) und doziert über Poetisches, Geistiges und Historisches. Das Volk diskutiert die Waldgerechtigkeit, während im Klosterhof der Widerstand dann schon zünftigere Formen annimmt: Klärchen (Heidi Meyer) von den Wasch- und Küchenweibern zum Beispiel rotzt der Gräfin von Stratow einfach mal ins Blaukraut. Der Oberförster (Martin Andreas Gails) nimmt derweil den trinkfreudigen Holzrebellen Hermann (Gerhard Mörk) in Gewahrsam: Das Holznutzungsrecht zum "Eigenbedarf" sei von den Tübingern dermaßen überstrapaziert worden, dass Goethe seinerzeit die freie Aussicht von den nackten Hügeln genießen konnte, sprich: der Schönbuch trug auch schon mal weitestgehend Glatze.
Auch die Monster-Jagd-Events der Adelsgesellschaft bewirken gehörigen Stress im Wald: Das Volk muss sechs Wochen lang das Wild zusammentreiben. Und auch sonst knabbert das Wild das ganze Grünzeug weg, die vielen Wildschweine zerstören die Ernten. Und so konzentriert sich der Volkszorn auf den despotischen Grafen von Stratow, zumal der auch noch unerbittlich gegen die Holz- und Wilddiebe vorgeht. Seine Frau Anna (Julia Haelke) konzentriert sich derweil auf den feschen Wilderer Walter (Jan Hoffmann) - im Schönbuch sprießen halt auch die Romantik-Hormone - während sich im Klostergarten ein Erlebnis-Manager (Gerhard Mörk) auf sein Projekt Vergnügungspark mit Zeppelinflugplatz und Streichelzoo konzentriert. Das wiederum finden die Mönche nicht so gut, die deshalb eine gruselige Grabstein-Demo veranstalten. Die drei Schönbuchlegenden Kappelgeist (Thomas Schatz), Ranzenpuffer (Theodoros Tsilkoudis) und Weiße Dame (Monika Oppenauer) treiben dazwischen überall ihr Unwesen. Am Ende gehen alle Liebeswirren und Treibjagden gut aus, aber man fragt sich doch: "Was ist wohl gefährlicher? Wenn die Menschen Hunger haben oder wenn sie satt sind?"
Schwäbisches Tagblatt, 26. Mai 2014
Wie eine alte Moritat – samt Geistern und Liebeswirren
(von Dorothee Hermann)
Die Freilicht-Inszenierung „Herrschaftszeiten – Geschichten aus dem Schönbuch“ hatte am Freitagabend im Kloster Bebenhausen Premiere
Auf einem Dorfplatz von einst konnten sich die 170 Zuschauer wähnen, die am Freitagabend die Premiere des Schönbuch-Stücks „Herrschaftszeiten“ erlebten. Zwei Kinder in Schnürstiefelchen liefen mit Blechkannen herbei. Weibliches Dienstpersonal in Schürzen und weißen Häubchen hatte es eilig: „Machet Platz, i bin’s Klärchen, die Küchenfrau!“ Doch mitten in dem dörflichen Treiben tummelten sich nicht so leicht einzuordnende Figuren: die Waldgeister Ranzapuffer (Theodoros Tsilkoudis), Weiße Dame (Monika Oppenauer) und Kappelgeist (Thomas Schatz) – ein Element des Übersinnlichen.
Mit diesem Tableau in den gedeckten Farben der Vergangenheit trat das Generationentheater Zeitsprung an der Tübinger Landesbühne erstmals unter freiem Himmel auf. Für die figurenreiche Inszenierung mit 30Amateurschauspielern im Alter von zehn bis 89Jahren verstärkten Bewohner von Schönbuchgemeinden das Ensemble (Leitung: Helga Kröplin).
Der vor 100 Jahren grassierende Grundwiderspruch zwischen Arm und Reich machte sich gleich auf dem ersten Schauplatz, zwischen Schreibturm, Rathaus und Mühlbach, bemerkbar. Oberjägermeister und Hofmarschall, Graf von Stratow (Thomas Lösch), will zu Ehren des erwarteten württembergischen Königspaars die Dianenjagd des Jahres 1812 nachstellen lassen. Wenn er unvermittelt aus einem der oberen Rathausfenster herausruft, verschwimmt, welche Szenerie zur historischen Illusion gehört und welche gewissermaßen real bleibt. Für den Holzdieb mit dem Reisig im Tragekorb gab es allerdings nur eine Realität. Als er sich laut über teure monarchische Festivitäten beklagte, während dem Dorf nur Wassersuppe und Brot bleibe, wurde er vom Oberforstmeister Hagebuch stracks im Schreibturm festgesetzt.
Zu Drehorgeltönen und gruseligeren Anklängen bewegten sich Schauspieler und Zuschauer zur Klosterkirche hinauf, was der Aufführung etwas moritatenhaft Jahrmarktsmäßiges gab. Die nachgestellte Dianenjagd entpuppte sich als irrwitzige Wildschlächterei – mit großartigen pantomimischen Hirschen. Diese Mischung des Burlesken mit dem Unheimlichen fand sich ebenfalls im Kreuzgang, wo man bei schwindendem Licht die alten Zisterzienser aus ihren Gräbern wabern sah. Ein früher Vertreter technischer Prestigebauten (Bahnhöfe! Flughäfen!) hatte sie aufgebracht.
Die Aufführung entstand anlässlich der Auszeichnung des Schönbuchs zum Waldgebiet des Jahres. Autor ist der LTT-Theaterpädagoge Volker Schubert. Sehr hübsch sind liebevolle Details wie die frühe Berufsfotografin (Marlene Mörk) in schwarzem Seidenkleid und Blumenhut, die mit ihrer altmodischen Kamera die Dianenjagd verewigt.
Das dramatische Finale führte in die Kutscherhalle, halb imaginärer Wald, halb düsterer Saal. Dort ließen sich sogar die berüchtigt derben Waldgeister von der sozial unzulässigen Liebe zwischen dem Wilderer Walter (Jan Hoffmann) und der
Hofmarschallin (Julia Haelke) rühren.