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Monolog von Stefano Massini · Deutsch von Sabine Heymann
Theater der Zeit, 23. November 2017
(von Otto Paul Burkhardt)
Bis 2024 läuft sein Vertrag. Wenn alles klappt, wird Thorsten Weckherlin, Intendant am Landestheater Tübingen (LTT), dann zehn Jahre im Amt sein. Auch jetzt, in seiner vierten Spielzeit, die von Goethe bis Yael Ronen weit gefächert daherkommt, rückt er kleinere Entdeckungen in den Blick – wie das 75-Minuten-Stück „Ichglaubeaneineneinzigengott.“ von Stefano Massini, eine Studie über die nicht enden wollende Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt.
Massini, 42-jähriger Autor und Regisseur, arbeitet als Berater am Mailänder Piccolo Teatro. Seine Stücke verhandeln Themen wie den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja oder den Aufstieg und Fall der Lehman Brothers. Massini breitet dabei detailliert recherchierte, komplexe Wirklichkeiten aus, die er gleichsam aus sich selbst heraus sprechen lässt. Möglichst frei von Polemik und psychologisierenden Deutungen.
Im Originaltitel von Massinis Nahost-Studie „Credoinunsolodio“ klingt sowohl „dio“ (Gott) wie auch „odio“ (Hass) an. Ein Spiel mit Bedeutungsebenen, das die deutsche Übersetzung so nicht wiedergeben kann. Das Stück schildert über den Zeitraum eines Jahres die nebeneinander her verlaufenden Biografien dreier Frauen, die sich nicht kennen und exemplarische Gegensätze verkörpern. Eden Golan, Dozentin für jüdische Geschichte, gehört dem liberalen Komitee für den Dialog an, Shirin Akhras, eine palästinensische Studentin, radikalisiert sich im Hass auf Israel zur Selbstmordattentäterin, und Mina Wilkinson, eine im Krisengebiet stationierte US-Soldatin, muss zwischen den Fronten erfolglos Terror verhindern. Während die drei Frauen voneinander unabhängig in inneren, tagebuchartigen Monologen – Symbol der Sprachlosigkeit untereinander – ihren Alltag beschreiben, wird klar, dass sich ihre Lebensbahnen fast zwangsläufig am Ende berühren werden: Bei einem Attentat kommen zwei der Frauen ums Leben.
Die Uraufführung in Mailand operierte mit drei Darstellerinnen. In den deutschsprachigen Inszenierungen, so auch am LTT, übernimmt eine einzige Schauspielerin die drei alternierenden Monologe. Franziska Beyer stellt anfangs drei Stühle auf die Bühne, und sie wird nun im fliegenden Wechsel die Plätze wechseln, aber auch die Standpunkte, die Sichtweisen, die Identitäten. Vor allem: Sie gestaltet die drei Rollen nicht jeweils anders, sondern verbindet sie – mit einer durchgehenden, eher undramatischen Sprechweise. Zur Unterscheidung der Figuren genügen karge Requisiten, ein schwarzer Schleier für Shirin, ein gelber Schal für Eden, ein Halstuch mit US-Flagge für Mina.
Thorsten Weckherlin inszeniert das Ganze als Protokoll, als Countdown zu einer unausweichlichen Katastrophe, reduktiv, ruhig, mit sparsamen Mitteln. Hin und wieder singt Franziska Beyer ein hebräisches Lied, zeigt als Bewerberin für die Al-Qassam-Brigaden per Video gebleckte Zähne oder hantiert als US-Soldatin mit einem Funkgerät. Sie schreibt Schlüsselworte mit Kreide an die Wand, Leitsätze, Daten oder als Menetekel die Mobilnummer zur Zündung der Bombe. Die Reduktion bewirkt – in einem hoch aufgeladenen Konflikt – sachliche Distanz, und das Publikum ahnt, wie die drei Biografien aufeinander prallen werden. Es sieht, wie Shirins religiös befeuerter Hass wächst, wie die liberale Eden sich dabei ertappt, einen Mauerausbau gutzuheißen, und wie Mina als Beobachterin von einem „Labyrinth“ spricht – „Zum Verrücktwerden. Die einen wie die anderen, alle beide: gleich.“ Eden nennt es einen „Krieg der Standpunkte“: „Von unten besehen ist es ein Drama: weil man mittendrin ist. Von oben besehen ist es im Grunde komisch. Eine Komödie? Eine Farce?“
Wenn sich die drei Frauen ohne Kenntnis voneinander schließlich am Ort des finalen Attentats begegnen, lässt Franziska Beyer die Monologe vollends zäsurlos ineinander übergehen. Die drei Figuren zerfließen, verschmelzen fast – auf gespenstische Weise. Eine Begegnung scheint nur in der gegenseitigen Auslöschung möglich. Was bleibt? Ein hintergründiger, intelligent konstruierter, nie wohlfeil empörter Polit-Thriller, eine kluge, unaufgeregte Regie und eine Schauspielerin, die in Gegenbewegung zur kulminierenden Katastrophe die drei Frauen einander näherrückt. Bis am Ende dieses Aneinandervorbeiredens doch etwas aufscheint: die Utopie eines echten Gesprächs.
Schwarzwälder Bote, 2. November 2017
(von Christoph Holbein)
„Ichglaubeaneineneinzigengott.“ am LTT ist ein eindringlicher Monolog mit großer innerer Spannung
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Regisseur Thorsten Weckherlin benötigt nicht viel, um eine stringente Inszenierung ohne Effekthascherei zu kreieren. „Ichglaubeaneineneinzigengott.“ von Stefano Massini entwickelt sich im LTT-oben des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen zu einem eindringlichen und eindrücklichen Monolog, dem Schauspielerin Franziska Beyer in einer hohen Konzentrationsleistung, allerdings an diesem Abend mit kleinen Textunsicherheiten, und mit guter Artikulation eine schön akzentuierte Farbe gibt.
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Es ist eine beklemmende Atmosphäre, die Regisseur Weckherlin schafft, untermalt mit sensibler Musik von Markus Maria Jansen. Franziska Beyer gelingt es dabei, die drei verschiedenen Figuren jeweils anders zu zeichnen, mit kleinen Nuancen, die ausreichen. Dazu ist nur wenig Technik notwendig: ab und zu eine eine Videosequenz, ein umgeworfener Stuhl deutet eine Bombenexplosion an. In den knapp 70 Minuten Monolog geben Weckherlin und Beyer gut austarierten Raum, die Figuren sich entwickeln zu lassen: die Israelin, die nach einem Anschlag auf einen Supermarkt, den sie knapp überlebt, in ihrem Trauma um ihre politische Haltung ringt und beginnt, ihre bisherigen Überzeugungen für die Sehnsucht nach Sicherheit nach und nach über Bord zu werfen; die Palästinenserin, die ihre Selbstzweifel in ihrer wachsenden Radikalisierung ertränkt; die US-Amerikanerin, die sich immer mehr in den Sarkasmus flüchtet. Das intensive Spiel steigert sich. Der Wechsel zwischen den Protagonistinnen verliert zunehmend an Trennschärfe; die Figuren verschmelzen ineinander, überblenden, werden fast eins in der Dunkelheit: Gäbe es vielleicht die Chance, dass sie einander kennenlernen und zuhören?
Am Ende sind die drei Stühle aufeinander gestapelt, die drei Leben miteinander schicksalhaft verworben. Die Inszenierung eskaliert in die starke Schluss-Szene, und beim finalen Schuss sind alle gleich, ob mit Schal oder Schleier, ob Israelin, Palästinenserin oder Amerikanerin.
Schwäbisches Tagblatt, 4. Oktober 2017
Das Gesicht des Terrors in Großaufnahme
(von Matthias Reichert)
Im Monolog "Ichglaubeaneineneinzigengott" inszeniert das Tübinger Landestheater das Drama des Nahost-Konfliktes an drei exemplarischen Frauenschicksalen - eine Glanzrolle für Franziska Beyer.
Wie bringt man den Irrsinn im Nahen Osten auf die Bühne? Kann man das überhaupt? Der italienische Autor und Theaterregisseur Stefano Massini hat eine ansprechende Lösung gefunden, die am Sonntag am LTT in der Inszenierung von Intendant Thorsten Weckherlin ihre gefeierte Premiere hatte: Das Stück mit dem sperrigen Titel "Ichglaubeaneineneinzigengott." kontrastiert das Schicksal dreier Frauen: Eine 20-jährige Palästinenserin, die sich den Al-Quassam-Brigaden anschließt und zur Selbstmordattentäterin wird, eine liberale jüdische Geschichtsprofessorin und eine amerikanische Soldatin, die in einem sogenannten "Phantomkommando" Geiselnahmen und Anschläge bekämpfen soll.
Franziska Beyer spielt in diesem Monolog, schwarz gekleidet, mit wenigen Requisiten alternierend die drei Frauen. Ein Schleier für die Palästinenserin, die Professorin trägt einen gelben Schal, die US-Soldatin ein Tuch mit Sternenbanner. Beyer taumelt durch dunkle Kulissenwände (Bühnenbild und Kostüme: Kay Anthony). Am Anfang und am Ende singt sie ein trauriges hebräisches Lied. Mit Kreide kritzelt sie Schlüsselbegriffe auf die Wände: Jahrestage, Leitsätze, die Handynummer, die eine Bombe auslöst. Drei Plastikstühle stehen für die drei konträren Positionen.
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Perverse Logik der Terroristen: Die junge Palästinenserin muss, ehe sie sich in die Luft jagen "darf", zwei Proben bestehen, bei denen sie andere Selbstmordattentäter in den Tod schickt. Ihr Vorstellungsgespräch bei den Auftraggebern der Brigade spielt sie als Videoeinblendung: Das Gesicht des Terrors, nur ein sprechender Mund, der die Zähne bleckt. Mehr ist von diesen Hintermännern nicht zu sehen.
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Die US-Soldatin ist machtlos gegenüber der Gewaltspirale. Die unlösbare Aufgabe ihrer Einheit ist es immer wieder, die Standpunkte der Israelis und der Palästinenser abzuwägen. Wer hat hier Recht, der Geiselnehmer oder sein Opfer? Hat überhaupt jemand Recht?
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Der einzige Gott, an den angeblich alle glauben, erscheint in der eingeblendeten Fotografie des gekritzelten Stücktitels samt Wegweiser zum LTT oben, wo das Stück aufgeführt wird. Regisseur Weckherlin erzielt mit spartanischen Mitteln wie Videosequenzen starke Effekte.
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Franziska Beyer spielt furios, sie spricht klar und präzise. Die Schauspielerin zeigt das Gesicht des Terrors in Großaufnahme, sie rennt gegen Pappwände an, krakelt kryptische Botschaften darauf und wischt die Kreide mit den Händen wieder ab, beschmiert sich selbst damit. Klare Botschaft angesichts eines Terrors, der auf Menschenleben keine Rücksicht nimmt: Das ist doch Wahnsinn!
Unterm Strich
Starkes Stück, starke Inszenierung, starke Darstellerin: Es ist völlig unmöglich, das Drama des Nahost-Konflikts mit seiner komplizierten Geschichte in einer guten Stunde auf der Bühne zu erzählen, und dann auch noch so, dass es mitreißt und nicht zur drögen Geschichtsstunde gerät. Doch genau dieses Kunststück ist dem LTT mit "Ichglaubeaneineneinzigengott." gelungen.
Reutlinger Nachrichten, 4. Oktober 2017
(von Kathrin Kipp)
Nahost-Konflikt hautnah: Im Stück von Stefano Massini erzählen drei Ich-Erzählerinnen aus unterschiedlicher Perspektive den Vorlauf zu einem Attentat am 8. April 2003. LTT-Schauspielerin Franziska Bayer erzählt sich in diesem schrecklichen Terrorthriller von 2010 unter der Regie von LTT-Chef Thorsten Weckherlin in alle drei Frauen hinein, wie sie mehr oder weniger freiwillig die Gewaltspirale am Laufen halten.
Dabei bleibt Franziska Bayer trotz der permanenten Bedrohung ihrer Figuren durch Angst, Terror und Tod angenehm undramatisch und nüchtern, wechselt fast unmerklich und mit scheinbar fließenden Übergängen zwischen den Rollen und Perspektiven hin und her. Bewusst spielt sie die Figuren gar nicht mal so unterschiedlich, sodass es zu Überschneidungen, Dopplungen und Überblendungen kommt, die mit Bayers Einsatz von Video-Selbstprojektionen letztlich sogar zu einer Art Dreieinigkeit führt. So, wie der Gott, „die Wurzeln, die Propheten, die Geschichte, die Schöpfung“ der in Jerusalem auf einandertreffenden drei Religionen ja auch ein- und dieselben seien, wie Eden Golan betont. Weil die drei Frauen charakterlich und stimmlich gar nicht so weit auseinander sind, streift sich Franziska Bayer zur besseren Unterscheidung jeweils einen schwarzen Schleier, einen gelben Schal oder ein Tuch mit der amerikanischen Flagge um den Hals. Sie agiert zwischen schwarzen Mauern, die gleichzeitig Bedrohung und Schutz vermitteln (Bühnenbild: Kay Anthony) und als Projektionsfläche fungieren. Immer wieder singt sie ein unschuldiges Jerusalem-Lied, hantiert mit weißen Stühlen, einem Funkgerät und Kreide, mit der sie Stichworte, Daten und Telefonnummern (mit der die Bombe ferngesteuert wird) an die Wände schreibt, was das Ganze sehr dokumentarisch und authentisch wirken lässt.
Eden Golan erzählt, wie sie vor einem Jahr einen Selbstmordanschlag knapp überlebt hat. Da wird im Stück die völlig zerfahrene Situation im Nahen Osten zum ersten Mal ganz privat, wenn sie sowohl der Attentäterin als auch einem Opfer zuvor noch in die Augen blickt. Eden Golan ist nach der Explosion entsprechend traumatisiert: Shirin Akhras will Märtyrerin werden, muss aber dafür zwei Mutproben bestehen, bei denen sie sogar ihre eigenen Und so spitzt sich alles zu, Franziska Bayer erhöht die Schlagzahl ihrer Szenenwechsel, bis es schließlich zum Terror-Finale kommt.