Franziska Beyer Foto: Maurice Bajohr
Stephan Weber Foto: Maurice Bajohr
Sabine Weithöner Foto: Maurice Bajohr
Foto: Maurice Bajohr
Jennifer Kornprobst Foto: Maurice Bajohr
Foto: Maurice Bajohr
Dennis Junge Foto: Maurice Bajohr
Stephan Weber Foto: Maurice Bajohr
Dennis Junge, Jennifer Kornprobst Foto: Maurice Bajohr
Foto: Maurice Bajohr
Foto: Maurice Bajohr

Lebendige Stolpersteine

Ein theatraler Gang durch die jüdische Geschichte Tübingens · 14+


Reutlinger General-Anzeiger, 9. Juli 2024

Zwischen Hass und Hoffnung

(von Thomas Morawitzky)

Sapir Heller hat für das LTT einen theatralen Spaziergang durch die jüdische Geschichte Tübingens inszeniert

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Schwäbisches Tagblatt, 9. Juli 2024

Wie Unsichtbares sichtbar wird

(von Moritz Siebert)

Mit Tablet und Kopfhörer führt das LTT durch die von Antisemitismus geprägte Geschichte jüdischen Lebens in Tübingen. Es geht um die Frage, was man hätte tun können. Aber auch: Was kann man tun?

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cul-tu-re.de, 8. Juli 2024

Bewegt und bewegend

(von Martin Bernklau)

„Lebendige Stolpersteine“ – ein Theaterspaziergang durch die Tübinger Altstadt widmete sich der lokalen jüdischen Geschichte und Leidensgeschichte

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Nachtkritik.de, 8. Juli 2024

Was kann man tun?

(von Steffen Becker)

In Tübingen fühlt sich nur noch eine Handvoll Menschen der jüdischen Gemeinde zugehörig. Einst war das anders. Regisseurin Sapir Heller lässt mithilfe von Augmented Reality und Tablets auf einem theatralen Spaziergang die jüdische Geschichte der Stadt lebendig werden.

8. Juli 2024. Zum Schluss des Tübinger Theaterrundgangs "Lebendige Stolpersteine" hört man einen Podcast, in dem der Dramaturg gefragt wird, ob er Juden kennt. "Das ist eine spannende Frage", hebt er an und antwortet dann: "nein" – zumindest für die Zeit vor dem Projekt unter der Regie der in Israel geborenen Regisseurin Sapir Heller. Das Interview trifft den Kern der "Lebendigen Stolpersteine": Wie umgehen mit jüdischer Geschichte ohne jüdische Gegenwart? In Tübingen gibt es nur noch 40 Personen, die sich einer jüdischen Gemeinde zugehörig erklären. Die Zahl der Gedenktafeln in der Stadt dürfte höher liegen.

Das Landestheater versucht es daher mit Augmented Reality. Man steht vor einem Klamottenladen, scannt alte Fotos und sieht, wie sich das "New Yorker"-Logo in ein "Jew Yorker" verwandelt (und der Fast Fashion-Laden wieder das mondäne Antlitz eines 1920er-Modehauses erhält). Ähnliches wiederholt sich an der Alten Synagoge, die es seit 1938 nicht mehr gibt. Am heutigen Gedenkort kann man sich von Schauspieler*innen per Video die Geschichten ihrer Besucher erzählen lassen. In real gibt Franziska Beyer den Rabbiner, der die Synagoge 1882 eröffnete.

Zwischen Wohnhäusern und Biergarten versucht sie auf dem Rundgang, den Mittelpunkt jüdischen Lebens auferstehen zu lassen. Abweichend vom Skript kommentiert sie den Elefanten des heutigen indischen Restaurants als Baal, der sich in den Tempel verirrt hat. Die Bedienung tritt irritiert aus dem Eingang, während dieser als Platz des Tora-Schreins beschrieben wird. Absicht oder nicht – die absurde Szene zeigt, dass jüdisches Leben heute vor allem als Simulation existiert. Man bestaunt die von der Gegenwart überwucherten Artefakte. Im Alltag stört das Vergangene nicht. Zumindest phasenweise durchkreuzen die "Lebendigen Stolpersteine" dieses Arrangement.

Man steht vor dem Rathaus und darf am Tablet über die nächste Szene abstimmen – Verkündung eines Referendums über eine 30-Prozent-Quote für Juden im Gemeinderat. Ja/Nein oder super-deutsch: "Nein, aber dafür gibt es ein Mahnmal". Gescriptet oder nicht: Jennifer Kornprobst tritt als enthusiastische Bürgermeisterin auf den Balkon und verkündet als zusätzliche Maßnahme die Umstellung der Kantinen auf koscheres Essen. Wer die Debatten über Veggie-Days oder "kein Schweinefleisch im Kindergarten" verfolgt hat, kann sich ausmalen, wohin das führen würde.

Komplizierter wird es bei der zweiten Leitfrage des Abends: "Was tun wir heute?". In einer Gasse darf man über den ersten Antrag auf Wohnrecht eines Juden nach 1848 befinden (damals mehrfach abgelehnt). Bevor man auf "Ja" klicken kann, crasht Immanuel Krehl als junger Wutbürger die Szene mit dem Hinweis, dass man aus heutiger Sicht ja auch nicht jeden Flüchtling hier aufnehmen könne bei der großen Wohnungsnot (der ex-Grüne OB Boris Palmer, der by the way gerne auf die jüdischen Wurzeln seines Vaters verweist, hat mit diesem Argument "Wir können nicht allen helfen" einen Bestseller geschrieben).

Dann gibt es noch einen Rekurs auf die Debatte um die antisemitischen Namensgeber der Eberhard-Karls-Universität sowie eine knappe Reflexion über jüdische Identität in Deutschland nach dem 7. Oktober. Ab hier wird es unübersichtlich.

Das Konzept von Sapir Heller hakt an der Stelle: Die Frage "Was tun" kann in der Kürze der Zeit, der Stationen und angesichts der komplexen Gemengelage nicht ausbuchstabiert werden. Letztere spürt man aber so oder so unwillkürlich, wenn man die Szenerie checkt: Droht im abendlichen Trubel Gefahr, wenn im szenischen Teil laut das Wort Jude fällt? Der Blick erhascht beim Rundgang das eine oder andere #freegaza an den Hauswänden. Auf dem Tablet kann man derweil virtuell Boykott-Plakate von 1933 herunterreißen.

Auf der Neckarinsel erinnert in einem Reenactment eines ikonischen Interviews Hannah Arendt daran, dass im Moment der höchsten Gefahr nicht entscheidend ist, was die Feinde tun, sondern wie sich die Freunde verhalten. Da schwirrt der Kopf angesichts der vielen verschiedenen Ebenen, auf denen jüdisches Leben derzeit verhandelt wird. Immerhin: für die Socialwall, die man zum Abschluss des Abends im LTT bewundern kann, hat ein Teilnehmer beim Rundgang auch einen FCK HMS (Fuck Hamas)-Sticker fotografiert. Ein kämpferischer Stolperstein der Hoffnung, gefunden außerhalb des Skripts, immerhin.


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