Das schreibt die Presse über unsere öffentliche Präsentation der neuen Spielzeit 22/23:
Das LTT hat seinen Spielplan für die Saison 2022/23 vorgestellt und verkuppelt auf Wunsch Theatergänger
Seinen knalligen Western »Fünf vor High Noon« zeigt das LTT noch bis zum 7. August auf dem Bahnbetriebswerk am Tübinger Festplatz. Ansonsten richten sich die Augen der Theatermacher bereits auf die kommende Spielzeit, die, was die Premieren angeht, mit »Ökozid« nach dem Film von Andres Veiel (Mitarbeit: Jutta Doberstein) am 30. September startet. Das Stück zeigt laut Dramaturg Thomas Gipfel detailliert und drastisch auf, »was schiefgeht in der Klimapolitik«. Die deutsche Regierung wird in dieser neuen Form des spielerischen Dokumentartheaters im Jahr 2034 wegen ihres zögerlichen ökologischen Handelns in den vergangenen Jahrzehnten – also auch heute – auf Schadensersatz verklagt.
Eine der schillerndsten Figuren der Literaturgeschichte bringt das Landestheater am 1. Oktober mit »Orlando« nach dem Roman von Virginia Woolf auf die Bühne, in einer Fassung von Annette Müller. Orlando durchwandert vier Jahrhunderte europäischer Menschheitsgeschichte. Dabei gehe es um Fragen wie »Was ist der Mensch? Was ist das Leben?«, so Dramaturgin Laura Guhl.
Als einen »Ort des Austauschs, der Begegnung und der Gefühle« will LTT-Oberspielleiter Dominik Günther das Theater verstanden wissen. Das als Haus auszustrahlen sei gerade in Umbruch- und Krisenzeiten wichtig. Intendant Thorsten Weckherlin bekennt im neuen Spielzeitheft sogar: »Ich hab’ Bock auf Sentimentalität und Kitsch.« Widersprüche zu verhandeln und auszuhalten – »das sollte auch für uns weiter gelten«, sagt er.
Klassische Stoffe wie »Gullivers Reisen«, »Orest« oder »Endstation Sehnsucht« wird man im Theater in der Eberhardstraße zu sehen bekommen. Aber eben nicht nur. Es soll auch Platz für Lockeres wie »Sex!«, ein inszeniertes Konzert von Dominik Günther und Jörg Wockenfuß, sein, in dem Marvin Gayes »Sexual Healing« neben subversiven Hymnen wie Madonnas »Like A Virgin« steht. Der Blick auf soziale Realitäten soll geschärft werden wie im Stück »Wolkenrotz« von Vera Schindler, das das Junge LTT uraufführt, oder in »Ladies Night«, dem Working-Class-Stück von Stephen Sinclair und Anthony McCarten, bekannt durch den Film »Ganz oder gar nicht«, das vordergründig eine Stripper-Komödie ist. Aber eben auch feine Sozialkritik, wie Thorsten Weckherlin, der das Stück inszenieren wird, meint.
Bertolt Brechts Schauspiel »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«, das im Februar Premiere feiert, betrachte man auch als Appell, dem Aufstieg menschenfeindlicher Ideologien heutzutage etwas entgegenzusetzen, sagt Thomas Gipfel. »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch« ist wohl das bekannteste Zitat aus dem Stück, in dem Brecht den Aufstieg Adolf Hitlers als den eines Chicagoer Gangsters nachzeichnet. Wobei er auch zeigt, wie die wirtschaftlichen Machtverhältnisse und alte politische Eliten den Aufstieg des Faschismus begünstigten. Der Diktator taucht auch an anderer Stelle im Spielplan auf, in Rosa von Praunheims derber Groteske »Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs«. »Eine vergnüglich-abgründige Grenzüberschreitung« nennt Chefdramaturg Adrian Herrmann das Stück. Es geht darin unter anderem um die Frage, ob Hitler nur einen Hoden hatte, und ob Friedrich der Große unterdrückt homosexuell war. »0 Prozent Political Correctness, 100 Prozent original Rosa von Praunheim, maximal 50 Prozent Hodenwitze« vermerkt das Kurzprofil im Spielplan zu diesem Stück.
Ernster geht es in »Vom Wert des Leberkäsweckles« zu, auch wenn der Titel das zunächst nicht vermuten lässt. Hier lautet die Stückcharakterisierung: »30 Prozent Tabuthema, 0 Prozent ›Honig im Kopf‹, 100 Prozent Uraufführung«. Jörn Klare erkundet in dem Schauspiel für Zuschauerinnen und Zuschauer ab 15 Jahren Demenz und Gesellschaft am Fall Walter J. Gemeint ist der 2013 gestorbene Altphilologe, Literaturhistoriker, Schriftsteller und Ordinarius für Rhetorik an der Universität Tübingen, Walter Jens, der sich mit fortschreitender Demenz offenbar an kleinen Tieren und Leberkäsweckle erfreute. Der große Denker wäre am 8. März 2023 100 Jahre alt geworden.
Intendant Weckherlin rechnet nicht damit, dass sich der zuletzt bundesweit an den Bühnen festzustellende Publikumsschwund kurzfristig rückgängig machen lässt. »Wir brauchen ein Beziehungsmanagement zu unserem Publikum«, sagt er. Im Spielplanheft findet sich auf Seite 81 ein Fragebogen unter dem Stichwort »Theater-Dating«. Die Idee dahinter: Das LTT will Theaterbegeisterte zusammenbringen, denen eine Partnerin oder ein Partner für den gemeinsamen Theaterbesuch fehlt. Man kann dort etwa das Alter, Wochentage, an denen man Zeit hat, angeben oder auch, ob man Interesse an einem Date oder einer Begleitung hat. (Christoph B. Ströhle, GEA)
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